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3 Art. 279 und 287 Abs. 3 ZGB
Das mit der Unmündigenunterhaltsklage befasste Gericht, das sich mit
der Genehmigung einer zwischen dem Kinderbeistand und dem Vater ge-
schlossenen Unterhaltsvereinbarung begnügt, ohne die Kindesmutter
angehört zu haben, begeht dieser gegenüber eine Gehörsverletzung.
Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 23. Juni 2009
i.S. V.B. gegen H.Sch.
Die Gemeinde X bestellte der am 16. April 2008 geborenen
Klägerin mit Beschluss vom 7. Juli 2008 eine Beiständin nach Art.
308 und 309 ZGB, die beim Bezirksgericht Y. eine Unterhaltsklage
gemäss Art. 279 ZGB einleitete. Das Bezirksgericht beendete das
Verfahren durch Genehmigung eines unter seiner Mitwirkung zwi-
schen dem Vater (Beklagten) und der Beiständin der Klägerin zustan-
de gekommenen Unterhaltsvertrags, ohne die Kindsmutter angehört
zu haben, obwohl diese - wie das Gericht über die Beiständin erfah-
ren hatte - den Vergleich ablehnte.
1.1.
Erfordern es die Verhältnisse, so ernennt die Vormundschaftsbe-
hörde gemäss Art. 308 ZGB dem Kind einen Beistand, der die Eltern
in ihrer Sorge um das Kind mit Rat und Tat unterstützt (Abs. 1). Die
Vormundschaftsbehörde kann dem Beistand besondere Befugnisse
übertragen, namentlich die Vertretung des Kindes bei der Wahrung
seines Unterhaltsanspruches und anderer Rechte sowie die Überwa-
chung des persönlichen Verkehrs (Abs. 2). Die elterliche Sorge kann
entsprechend beschränkt werden (Abs. 3).
Der gestützt auf Art. 308 Abs. 1 ZGB ernannte Beistand hat die
Aufgabe, die Eltern in ihrer Sorge um das Kind zu unterstützen; er
hat somit keine eigenen Befugnisse, sondern kann nur nach Abspra-
che mit den Eltern und mit deren Einverständnis handeln. Erst im
Rahmen der ihm erteilten besonderen Befugnisse im Sinne von Art.
308 Abs. 2 ZGB ist er zu eigenem, vom Willen der Eltern unabhängi-
gem Handeln ermächtigt (Guler, Die Beistandschaft nach Art. 308
ZGB, in: ZVW 1995, S. 51 ff., S. 61 ff.). Werden dem Beistand
besondere Befugnisse übertragen, ist daher der Inhalt des Auftrages
präzise festzulegen (BGE 118 II 242; Breitschmid in: Honsell/Vogt/
Geiser, Basler Kommentar, 3. A., Basel/Genf/München 2006, N. 6 zu
Art. 308 ZGB; Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 1997, N. 121 zu
Art. 275 ZGB; Guler, a.a.O., S. 63).
Wo nicht ein Teilentzug der elterlichen Sorge (Art. 308 Abs. 3
ZGB) erfolgt, führt die Beistandschaft i.S.v. Art. 308 Abs. 1 und 2
ZGB zu einer konkurrierenden Zuständigkeit des Beistandes neben
dem Inhaber der elterlichen Sorge (Breitschmid, a.a.O., N.. 5 zu Art.
308 ZGB; Guler, a.a.O., S. 63; Biderbost, Die Erziehungsbeistand-
schaft, Freiburg 1996, S. 287 f. und 361 ff.; Hegnauer, Grundriss des
Kindesrechts und des übrigen Verwandtschaftsrechts, 5. A., Bern
1999, Rz. 27.24). Das Kind hat dann zwei gesetzliche Vertreter, ei-
nen ordentlichen, den Inhaber der elterlichen Sorge, und einen aus-
serordentlichen, den Erziehungsbeistand (Biderbost, a.a.O., S. 281 f.
und 362 f.; Hegnauer, Grundriss, a.a.O., Rz. 27.24).
1.2.-2.1.
(...)
2.2.
Dem Beklagten ist insoweit zuzustimmen, als der zur Vertre-
tung des Kindes bei der Wahrung des Unterhaltsanspruches bestellte
Beistand aufgrund seiner konkurrierenden Zuständigkeit neben dem
Inhaber der elterlichen Sorge auch ohne dessen Zustimmung rechts-
gültig mit dem Unterhaltspflichtigen einen Unterhaltsvertrag ab-
schliessen kann (Breitschmid, a.a.O., N. 5 zu Art. 308 ZGB; ZVW
1994 S. 165). Vorliegend verhält es sich allerdings so, dass die Vorin-
stanz den Anspruch der Kindsmutter auf rechtliches Gehör verwei-
gert hat, indem sie sich auf die schlichte Genehmigung der von der
Beiständin der Klägerin sowie vom Beklagten unterzeichneten Ver-
einbarung beschränkt hat, dies umso mehr als sie wusste, dass die
Kindsmutter diese Vereinbarung ablehnte. Auch in dem vom Bei-
stand gestützt auf Art. 308 Abs. 2 ZGB namens des Kindes angeho-
benen Unterhaltsprozess ist nämlich die Kindsmutter als Inhaberin
der elterlichen Sorge berechtigt, eigene Anträge zu stellen (BGE
5P.468/2000 Erw. 2c; Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 1997,
N. 24b zu Art. 279/280 ZGB; Hegnauer, Berner Kommentar, Bern
1984, N. 17 zu Art. 261 ZGB) und gegen die Genehmigung eines mit
Zustimmung des Beistandes abgeschlossenen Unterhaltsvertrages
Beschwerde zu führen (Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 1969, N.
117 zu aArt. 319 ZGB), sofern ihre Elternrechte nicht vorgängig ge-
stützt auf Art. 308 Abs. 3 ZGB beschränkt worden sind. Die Kinds-
mutter war daher im Unterhaltsprozess des Kindes anzuhören, zumal
für die Festlegung des Unterhaltsbeitrages die Lebensstellung und
Leistungsfähigkeit beider Elternteile massgebend sind (Art. 285 Abs.
1 ZGB) und deshalb im Rahmen der für die Kinderbelange geltenden
Offizial- und Untersuchungsmaxime (Art. 280 Abs. 2 ZGB) stets
auch die Verhältnisse der Kindsmutter abzuklären sind, denn mit dem
Unterhaltsentscheid wird indirekt auch deren elterlicher Unterhalts-
beitrag festgelegt (Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 1997, N. 59
zu Art. 287/288 ZGB; Metzler, Die Unterhaltsverträge nach dem
neuen Kindesrechts [Art. 287 und 288 ZGB], Diss., Zürich 1980,
S. 93 Anm. 1 und S. 348; Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 1969,
N. 117 zu aArt. 319 ZGB).